Berliner Libyen-Konferenz: Die Fehler von Merkel und Maas

Die Bundeskanzlerin und der Außenminister verkennen die regionalen Vernetzungen der Libyenproblematik sowie die vielschichtigen Dimensionen der internationalen Politik.

Beitrag von Michael Wolffsohn in der Welt vom 22. Januar 2020:

"Behutsame Diplomatie ist das Höchste", sagt die altchinesische Weisheit von Lao Zi, dem Begründer des Daoismus. An dieser seit 2500 Jahren zu selten verwirklichten Maxime orientieren sich Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas. Die Berliner Libyen-Konferenz beweist es einmal mehr. Beide jubeln und werden bejubelt. Heute. Übermorgen wird der Jubel verklingen, denn es wurden schwerwiegende strategische Fehler gemacht.

Das sind die Folgen der Berliner Konferenz: Es wurden möglicherweise Fluchtmöglichkeiten aus Afrika nach Europa erschwert. Sicher ist das nicht. Libyen wurde nicht stabilisiert. Selbstbestimmungswünsche der syrischen und irakischen Kurden sowie die Einheit der Ukraine dürften für lange Zeit geopfert worden sein. Europas Erdgasimport wird noch mehr als bisher vom Wohlwollen Putins und Erdogans abhängen. Griechenland und Zypern, beides EU-Mitglieder, Israel sowie nicht zuletzt Deutschland und Europa wird geschadet. Im Fußball nennt man so etwas "Eigentore".

Das sind die Erklärungen: Putin unterstützt den aufständischen General Haftar militärisch, Erdogan dessen Widersacher, Libyens Ministerpräsidenten. Sowohl Putin als auch Erdogan werden sich den Verzicht auf weitere Hilfen, also das in Berlin beschlossene Waffenembargo, für ihren jeweiligen libyschen Partner bezahlen lassen. Weder Russland noch die Türkei brauchen zusätzliches Öl oder Erdgas aus Nahost. Russland hat beides selbst, und die Türkei bekommt Öl sowie Gas (plus Transiteinnahmen) aus Pipelines von Russland, dem Arabischen Golf und der Kaspischen Region. Beide brauchen –  und haben – für ihre strategischen Interessen ein Faustpfand: Ihre Machtposition in Libyen und Syrien. Wenn ihnen die internationale Gemeinschaft – aus ihrer Sicht – nicht genug in Libyen entgegenkommt, haben sie noch je einen Trumpf in Syrien und umgekehrt. Die Rechnung hierfür werden besonders die mehrfach betrogenen Kurden Syriens und Iraks bezahlen müssen. Auf deren Gebiet schaltet Erdogan nach eigenem Gutdünken. Putin akzeptiert es und kooperiert.

Das ist Putins strategisches Interesse: Die internationale Anerkennung oder zumindest Billigung seiner faktischen Annexion der Krim und Ost-Ukraine sowie die Aufhebung der gegen Russland eben wegen dieser Doppelannexion verhängten internationalen Sanktionen. Erdogan verfolgt zwei strategische Interessen. Erstens: In Syrien und dem Irak die Kontrolle der Kurden. Ebenso wie die türkischen Kurden sind für ihn die syrischen und irakischen ebenfalls "Terroristen". Zweitens: Durch die Präsenz seiner Söldnertruppen in Libyen will er den Bau der Pipeline verhindern, die Erdgas aus Israel und (griechisch) Zypern über Griechenland nach Südeuropa transportieren und 2025 fertiggestellt sein soll. Drei ihm lästige Fliegen schlüge er mit dieser einen Klappe: Der islamischen Welt kann er sich als Vorreiter im Kampf gegen den jüdischen Staat profilieren und dem Erzfeind Griechenland – wie die Türkei Nato-Mitglied – sowie dessen zyprischem Schützling, also zwei EU-Staaten, wirtschaftlich erheblich schaden.

Das Verhindern der Erdgas-Pipeline Israel-Zypern-Griechenland würde zudem Europas Abhängigkeit vom russischen Erdgas zementieren, denn es entfiele eine alternative Lieferquelle. Diesen Fehler begingen Deutschland und Europa schon einmal: durch den Verzicht auf den Bau der Erdgas-Pipeline Nabucco. Sie hätte den Rohstoff vom Kaspischen Meer nach Europa gebracht. Trotz aller offenkundigen Unterschiede erinnert mich als Historiker die "Friedenspolitik" der Berliner Konferenz 2020 an die Münchner Appeasement-Konferenz vom September 1938: Nach München jubelte die Welt, und Britanniens Premier Chamberlain verkündete: "Peace in our time." Das Sudentenland wurde unverzüglich von Hitler annektiert, im März 1939 die Tschechoslowakei besetzt und zerschlagen.

Ab 1. September 1939 verwandelte der deutsche Diktator den Wunschtraum Frieden in einen weltweiten, millionenfachen Albtraum. Obwohl (oder weil?) bejubelt, verkennen Merkel, Maas & Co die regionalen Vernetzungen der Libyenproblematik sowie die vielschichtigen Dimensionen der internationalen Politik. In ihrer Wortwahl sind sie allerdings zurückhaltender als Chamberlain.

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