Deutsche Denkmalpflege heute: Nazi-Thorak ja – Fritz Koenig nein?

Ein Offener Brief zur Zukunft des Ganslbergs bei Landshut, der Wirkungsstätte des bedeutenden Bildhauers Fritz Koenig.

Frau Staatsministerin Prof. Monika Grütters,
Herrn Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder,
Herrn Staatsminister Bernd Sibler und
Herrn Landtagsabgeordneten Robert Brannekämper,

Fritz Koenig (1924-2017) war Deutschlands bedeutendster Bildhauer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach 1945 hat der Abkömmling einer bayerischen Erfinder- und Industriellenfamilie die deutsche Skulptur in die Moderne geführt. Wie kein anderer. Bereits als Stipendiat hatte ihn Bundespräsident Theodor Heuss in seinem Atelier in der römischen Villa Massimo besucht. Auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 - für das gewandelte Deutschland die erste internationale Anerkennung seit dem Krieg - war Koenigs Kunst vertreten. Peggy Guggenheim gehörte zu seinen frühen Förderinnen; im Guggenheim-Museum in Venedig steht Koenigs Biga heute prominent auf der Terrasse zum Canal Grande. Für das World Trade Center in New York schuf Koenig seine große Kugelkaryatide. Beschädigt durch die Terroranschläge vom 11. September 2001, ist sie heute zum Wahrzeichen des Überlebenswillens dieser Stadt geworden. Kein deutscher Künstler hat den Schrecken des Holocaust bildmächtiger dargestellt als Fritz Koenig. Er fertigte auch den "Klagebalken", das Denkmal für die während der Olympischen Spiele in München 1972 ermordeten israelischen Sportler. 2017 veranstalteten die Uffizien in Florenz eine Retrospektive seines Schaffens. 1,2 Mio Besucher. Das war weltweit Platz 6 aller Ausstellungen.

Koenig lebte am Ganslberg bei Landshut in einem von ihm selbst entworfenen Haus, wo er auch arbeitete und Pferde züchtete. Seine große "Kugelhalle" (1968), von Stefan Trinks in der FAZ "ein bis in die Türbeschläge ausgefeiltes Architekturjuwel" genannt, errichtete er dort eigens um in ihr sein New Yorker Hauptwerk modellieren zu können. Zwei weitere gewaltige Hallen aus Holz beherbergten Koenigs Sammlung afrikanischer Kunst. So wie die afrikanische Skulptur Anregungsquelle für seine Skulpturen war, schöpfte der Künstler aus den herkömmlichen, elementaren Bauformen Niederbayerns eine Architektur von vollendeter Proportion: gezielte Beschränkung eingesetzter Mittel, formale Klarheit und harmonische Einfügung in die umgebende Landschaft. Eine solche Rückbesinnung zeichnet auch andere bedeutende Bauten der Moderne aus. "Dieses 'Koenig-Reich' eines exzeptionellen Künstlers könnte gerade durch seine Weitläufigkeit und seine spektakulär feine Architektur ein Juwel unter den Künstlerhäusern werden." (Stefan Trinks, FAZ) Dennoch ist Koenigs Ganslberg vom Verfall bedroht. Sein Eigentümer, die Fritz-und-Maria-Koenig-Stiftung, bedarf dringend der Unterstützung.

Deshalb unsere Forderung: Der Ganslberg muss unter Denkmalschutz gestellt werden! Nur so ist seine dauerhafte Erhaltung zu sichern, sind falsche Begehrlichkeiten zu seiner Zerstörung und Verwertung abzuwehren, wie auch sein landschaftlicher Umgriff zu schützen. Auch dank seines erhaltenen Inventars und Koenigs Afrika-Sammlung ist der Ganslberg eines der bedeutendsten Künstlerhäuser Deutschlands. Die Presse - so SZ, FAZ, Stern, Handelsblatt und Landshuter Zeitung (LZ) - hat sich für seinen Erhalt stark gemacht. Der Bayerische Landesdenkmalrat hat sich für seine Unterschutzstellung ausgesprochen. Bislang ungehört.

Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege verweigert die Unterschutzstellung und diffamiert das einzigartige Ensemble als unkünstlerischen Zweckbau, ein Fehlurteil, das seitdem heftig in die Kritik geraten ist. Statt es zu korrigieren, beharrt das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege auf seiner fadenscheinigen Argumentation. So erfülle das bereits 1961 errichtete Gebäude nicht das Kriterium aus „vergangener Zeit“ zu stammen. „Die Bedeutung liegt im Privaten, nicht in der Meta-Ebene der Geschichte“, so das eigenwillige Argument, den Schutz zu verwehren. Im Privaten liegt etwa auch die Bedeutung von Goethes Haus am Frauenplan - heute ein Publikumsmagnet -, das Goethe selbst nie als öffentliches Museum vorgesehen hatte. Fälschlich wurde auch unterstellt, der Ganslberg sei gar nicht vom Bildhauer selbst entworfen worden.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die Bedeutung von Koenigs Architektur, der angeblich "die Handschrift des Künstlers", ja sogar der künstlerische Anspruch insgesamt fehle, kleingeredet wird. Das ist absurd. Vom Gegenteil zeugen allein 74 Bildseiten wie auch der Beitrag „Bildhauer und Architekt. Die gebaute Welt des Fritz Koenig“ im Ausstellungskatalog der Uffizien. Der Ort ist ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis von Koenigs Kunst. Koenig war Träger des Bayerischen Staatspreises für Architektur.

Doch niemand ist mehr blind als der, der nicht sehen will. Offene Augen hat das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege für das martialische Atelier von Hitlers Bildhauer Josef Thorak (1889-1952) in Baldham. Bereits 1933 hatte Thorak seine jüdische Frau verstoßen, um sich „frei“ zu machen für Hitlers Reich, zu dessen Vorzeigekünstler er wurde. Seine Kolossalskulpturen schmückten u.a. die Neue Reichskanzlei. Daneben war Thorak auch für Kleinformatiges zuständig, als Modellmeister der Porzellanmanufaktur Allach, die Heinrich Himmler auf dem Gelände des KZ Dachau betreiben ließ. KZ-Häftlinge mussten dort Porzellankitsch fertigen, mit dem einsatzfreudige SS-Männer zum Schmuck ihres häuslichen Idylls ausgezeichnet wurden. Thorak porträtierte Hitler und andere Nazigrößen. Das Thorakgebäude wurde als "braunes Denkmal" für schutzwürdig erachtet, während dem Künstlerhaus des weltweit hochgeachteten, modernen, bundesdeutsch-demokratisch-empathischen Bildhauers Koenig die Würde verweigert wird. Nazikünstler - Hinterlassenschaft ja, die des großen künstlerischen Mahners nein? Ein Bildvergleich sagt mehr als alle Worte: Thoraks muskelbewehrter "Arier" und Koenigs Darstellung der Opfer in ihrer Zerbrechlichkeit. "Hier liegt einer in einer Gosse, einer stellvertretend für unendlich viele", so Koenigs Worte zu dem von ihm geschaffenen Erinnerungsmal der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gelände des ehemaligen KZ Mauthausen.

Frau Staatsministerin Grütters, Herr Ministerpräsident Söder, Herr Staatsminister Sibler und Herr Landtagsabgeordneter Brannekämper, wir fordern Sie höflich aber nicht weniger eindringlich auf: Schreiten Sie ein! Fritz Koenigs Kunst ist Weltkunst, und sie ehrt Nachkriegsdeutschland. Sein Ganslberg, eines der bedeutendsten Künstlerhäuser Deutschlands und Schlüssel zum Verständnis seiner Kunst, muss bewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Landshuter Zeitung brachte es auf den Punkt: "Landshut hat eine Riesenchance". Auch Bayern, auch Deutschland.

1. Februar 2021

Eleonore und Percy Adlon, fünf Filme über Fritz Koenig
Prof. Dr. Holger A. Klein, Kunsthistoriker, Columbia University
Prof. Dr. Winfried Nerdinger, Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
Alexander Rudigier, Kurator der Fritz-Koenig Retrospektive 2017
Prof. Dr. Eike D. Schmidt, Direktor der Uffizien
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland
Dieter Wieland, Denkmalschützer
Prof. Dr. Michael Wolffsohn, Historiker

The open letter in Englisch (PDF)

 

 

 

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